Tim Leberecht ist Marketing- und Managementberater. Als Chief Marketing Officer von NBBJ, einer internationalen Workplace Design Firma, hatte er es mit Großkunden wie Amazon, Bill & Melinda Gates Foundation, Samsung, Starbucks und Tencent zu tun. Im Interview mit dem TrafficGenerator-Blog spricht er über seine Erfahrungen und nennt Tipps und Tricks für mittelständischen Unternehmen, um im Bereich Online Marketing erfolgreich zu sein. Dabei gelte ein simples Prinzip: „Einfach anders sein“.
Tim Leberecht: Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass bei den großen Marken das Volumen eine viel größere Rolle spielt. Klar geht es auch um Ideen und Firmen wie Apple, Disney, IBM, Samsung oder Starbucks haben bewiesen, dass sie die haben – von Apple’s legendären Werbespots bis hin zur Smart Planet Kampagne von IBM. Mit den vorhandenen Budgets dieser Firmen lässt sich natürlich öffentliche Aufmerksamkeit kaufen. Viele sagen, Apple brauche kein Marketing, weil die Produkte für sich sprechen, aber Tatsache ist, dass Apple jedes Jahr dreistellige Millionensummen in das Marketing investiert. Aussagekräftiger als die absoluten Werte ist allerdings die sogenannte Budget-Ratio – und da ist Apple in der Tat bescheidener und investiert nur 7 Prozent seines Gesamtbudgets, während Firmen wie Salesforce.com mehr als 50 Prozent ihres Gesamtbudgets in ihr Marketing stecken. Das ist bei Mittelständlern sicher selten der Fall. Für kleinere Firmen ist das Marketing zwangsläufig mehr auf Differenzierung und ultra-präzises Targeting ausgerichtet. Marketing ist auf eine Art privater und lebt mehr von Mikro-Momenten, online wie offline: Sei es durch aktives soziales „Netzwerken“, Konferenzen oder eben auch durch Direktmarketing und SEO.
Tim Leberecht: Einfach anders sein – und zwar mit Betonung auf allen drei Wörtern. Eine einfache Botschaft zu haben und es einfach für die Zielgruppe zu machen, sich mit dieser zu engagieren, ist die Grundlage. Differenzierung ist ein weiterer wichtiger Aspekt: Wirklich anders zu sein, gegen Konventionen oder Denkmuster zu verstoßen, ist die effektivste Art, Aufmerksamkeit zu erzeugen und Kundenbindung zu schaffen. Allerdings – und hier kommt das „Sein“ ins Spiel – darf das nicht aufgesetzt sein, denn das merken die Leute dank der sozialen Medien heute schnell. Versprechen und Verhalten müssen übereinstimmen und die Werte der Marke müssen tatsächlich gelebt werden – in jeder Transaktion und Interaktion. Die Firma Festo, Hersteller von Steuerungssystemen mit Hauptsitz bei Stuttgart, ist hierfür ein gutes Beispiel. Über mehrere Jahrzehnte hinweg hat sich das Unternehmen vom Mittelständler zum Weltunternehmen gewandelt und dabei typisch schwäbische Cleverness und Bodenständigkeit mit aggressivem Marketing – vor allem mit gezielten Investitionen in Thought Leadership – kombiniert.
Tim Leberecht: Ich denke, der größte Fehler ist, keine Fehler machen zu wollen. Ich lebe jetzt seit zwölf Jahren im Silicon Valley und auch wenn das inzwischen ein Klischee geworden ist, es stimmt schon, dass die Risikofreudigkeit hier höher ist. „American success is American failure“ heißt es – und das zu Recht. In immer komplexeren und dynamischeren Märkten bleibt nur der Online-Vermarkter konkurrenzfähig, der möglichst viele Experimente in einen Tag packen kann, schnell bei Trend-Konversationen auf den sozialen Medien einsteigt oder diese proaktiv, fast schon wie ein Newsroom, vorantreibt. Content spielt da natürlich eine wichtige Rolle und gerade Red Bull hat hier neue Massstäbe gesetzt. Viele machen auch den Fehler, auf Teufel komm raus konsistent und ihrer Markenbotschaft sklavisch treu bleiben zu wollen. Natürlich ist es wichtig, Markenprinzipien zu haben und diese beständig zu verkörpern, aber Marken müssen immer interessant bleiben und tun dies nur, wenn sie in der Lage sind, zuzuhören und das Gesprächsthema zu wechseln – wie eben im einem echten Dialog zwischen Menschen auch. Und noch ein Wort zur Obsession mit Kennzahlen, die ich auch für einen Fehler halte: Ich kenne Marketingabteilungen, die 50 Prozent ihrer Zeit damit verbringen, ihre eigene Performance zu messen – was für mich persönlich eine groteske Ineffizienz darstellt. Die Ressourcen wären im Rahmen von kreativen Projekten und Experimenten oder auch in der Kundenkommunikation viel sinnvoller eingesetzt. Der Grund für diese Obsession mit der Quantifizierung ist die weitverbreitete Angst vor der eigenen Ersetzbarkeit, die dann zum Druck des permanenten Wertnachweises führt.
Marketing schafft Bedeutung und letztlich handeln wir
ja alle vor allem mit Bedeutung.
Tim Leberecht: Stimmt so nicht. Natürlich steigen die Marketing-Budgets meist proportional zur Größe des Unternehmens, weil eben auch mehr in Kundenloyalität investiert werden muss und es oft schwieriger ist, Marktanteile zu halten oder auszubauen als eine „Challenger Brand“ zu sein, die Marktführer herausfordert oder neue Märkte erobert. Marketing ist insbesondere aber auch für Start-Ups wichtig, die sich im Markt etablieren, den Product-Market Fit feststellen, stets nachjustieren und ihre „Story“ vorstellen wollen. Aber Marketing ist eigentlich immer wichtig: Es ist die Schnittstelle zwischen internem und externem Selbst, zwischen der Kapazität des Untenehmens und gesellschaftlichen und kulturellen Trends. Marketing schafft Bedeutung und letztlich handeln wir ja alle vor allem mit Bedeutung.
Tim Leberecht: Ich denke, dass wir wieder ein Zeitalter der Entzauberung erleben, wie schon vor 200 Jahren im Zuge der aufklärerischen Vernunft und dann vor 100 Jahren im Zuge von wisssenschaftlichem Management, Bürokratisierung und Taylorismus. Diesmal ist es eine moderne Form von Taylorismus, der die Arbeitswelt und unsere Gesellschaft entzaubert. Weil es der Grundimpuls von Big Data, Automation und künstlicher Intelligenz ist, alles quantifizierbar und berechenbar zu machen, programmieren wir systematisch die Romantik – die Annahme unermesslicher Gefühlswelten – aus unserem Arbeitsleben, beziehungsweise aus unserem Leben. Ich glaube, dass wir wieder mehr Sehnsucht in unserer Gesellschaft brauchen – und mehr Romantik in unserer Wirtschaft. In unserer algorithmischen Leistungsgesellschaft der Maximierung und (Selbst-)optimierung ist Romantik nicht nur das ultimative Alleinstellungsmerkmal für Unternehmen, sondern auch der ultimative Ausdruck unseres Menschseins.
Den Mittelständlern kommt dabei eine besondere Verantwortung zu, da sie mehr als 90 Prozent aller Unternehmen in Deutschland ausmachen und mehr als die Hälfte aller sozialversicherungspflichtigen Erbwerbstätigen beschäftigen. Der Mittelstand hat es also durchaus in der Hand, die Zukunft der Arbeit human zu gestalten und angesichts von Industrie 4.0 auch Qualitäten wie Autonomie, Kreativität und emotionale Intelligenz zu förden. Nur so können Mittelständler sicherstellen, Top-Talente – insbesondere auch Millennials – langfristig an sich zu binden.
… ist Gründer der Business Romantic Society, einem Berater-Netzwerk, das Firmen und Führungskräften bei strategischen Transformationen sowie der Gestaltung von High-Performance Kulturen hilft. Als Chief Marketing Officer arbeitete er von 2006 bis 2013 bei Frog Design, einem Unternehmen für Produktdesign und Strategieberatung mit Kunden von Disney zu GE zu Microsoft und Siemens, sowie als CMO für IT-Dienstleister Aricent Group, ehe er zu NBBJ wechselte. Leberecht veröffentlicht regelmäßig in Publikationen wie Harvard Business Review, Fast Company, Forbes, Fortune oder Wired und spricht auf Konferenzen. 2015 veröffentlichte er den Bestseller „Business-Romantiker: Von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben“ (Droemer-Knaur). Er lebt seit elf Jahren mit seiner Frau und Tochter in San Francisco.
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Martin Ehrenfeuchter studiert Medien- und Kommunikationswissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie. Nach Praktika bei den Badischen Neuesten Nachrichten und bei Mercedes-Benz arbeitet er als Online-Redakteur für den TrafficGenerator Blog. Immer am Puls der Zeit hat er die Branchen-News im Blick und berichtet über Aktuelles aus der spannenden PR- und Social-Media-Welt.